Interview

Wenn ich mir eine Handschrift genauer ansehe, gibt es kaum Überraschungen bei einem echten Kennenlernen.

Wie bist Du zur Graphologie gekommen? Deine „Vorbilder“?
Zwölf Jahre war ich etwa, als meine Mutter und ich ein Gutachten über meinen Vater gelesen hatten. Als ob der Graphologe ihn persönlich gekannt hatte, so treffend war das!
Nach etlichen Jahren Unterricht in der Berufsschule wurde ich Beratungslehrerin und half dort Schülern pädagogisch und psychologisch. Um das möglichst optimal zu können, ist Graphologie ein hervorragendes Werkzeug.

Was fasziniert Dich an der Graphologie so sehr?
Mit Erfahrung und einer großen Portion Wissen kann ich anhand der Schrift mir ein Bild vom Charakter, dem Wesen eines Menschen machen. Wenn ich mir eine Handschrift genauer ansehe, gibt es kaum Überraschungen bei einem echten Kennenlernen.

Was kann ich erwarten, wenn ich ein Gutachten von Dir bekomme? Muss ich Angst haben?
Nein! Ein Gutachten ist ein „Gut-achten“.
Auf alle Fälle gehe ich behutsam, aber doch sachlich auf die Fragestellung ein und bin ein guter Gesprächspartner für Probleme, die allein rational nicht gelöst werden können. Schriftpsychologie verhilft  zur Selbsterkenntnis und kann daher die Suche nach persönlichen Stärken und Schwächen unterstützen, die auf eine Studien- oder Berufswahl zielt.

Schriftpsychologie verhilft zur Selbsterkenntnis.

All das und mehr kann die Graphologie leisten. Ein Unternehmen sucht einen Mitarbeiter. Zusätzlich zum Bewerbungsschreiben und dem persönlichen Gespräch möchte der Personalchef noch das Wesen/Charaktereigenschaften des Bewerbers kennenlernen und bittet um einen handschriftlich verfassten Text.

Ein Handwerksmeister fühlt sich überlastet und möchte Rat für sein weiteres Berufsleben. Ich erkenne deutlich: Er ist kreativ und dynamisch, auch entscheidungsfreudig – aber die Sachlichkeit und gewisse Härte, die man auch benötigt beim termingerechten Arbeiten und akkurater Buchhaltung, stellen ihm arg große Hürden, die er nicht überwinden kann.

Du charakterisierst Menschen – dann kennst du also auch seine Schwächen – Behältst du negative Erkenntnisse auch mal für Dich?

Viel Fantasie kann eine Stärke sein – für einen Buchhalter eher eine Schwäche. Es kommt darauf an, was man möchte. Darauf weise ich schon hin. Hier ist Sachlichkeit gefragt. Sorgfalt ist gut, da wo sie gefragt ist. Ist jemand penibel, also zu sorgfältig, macht ihn das langsam. So etwas spreche ich an.

Ja. Ich als Schriftpsychologe spreche ich den Menschen so an, damit er das, was ich ihm mitteilen möchte, gut versteht.

Du bist also auch Psychologe?
Ja. Als Graphologin spreche ich den Menschen so an, dass er das, was ich ihm mitteilen möchte, gut versteht. Pädagogik, Graphologie und Psychologie passen gut zusammen.

Was war Deine kurioseste Anfrage?
Eine bekannte Persönlichkeit aus der Wirtschaft trat nach erfolgreichen Jahren ab. Man wollte ihm einen Band schenken mit besonderen Stationen seines Wirkens – sowie ein graphologisches Gutachten. Das Problem, die Auftraggeber hatten nur drei erweiterte Unterschriften. Ich habe es gemacht – und ihn doch wirklich gut „getroffen“, sagte man mir.

Kann jemand mit einer hässlichen Schrift ein toller Mensch sein?
Ja! Aber „hässlich“ passt nicht zur Graphologie. Die Schrift ist unharmonisch? Dann ist der Schreiber also vermutlich vielseitig.
Was ist „hässlich“? Da gibt es keine gute Definition. Eine unregelmäßige Schrift, bei der die Zeilen sich nicht heftig überschneiden und die ich lesen kann – der Schreiber könnte ein toller Typ sein. Intelligente Menschen haben häufig keine harmonische Schrift!

Gib uns ein Beispiel: Woran erkenne ich, dass jemand teamfähig ist?
Manches ist auch für den Laien gut nachvollziehbar: Die Schrift lesbar, das Blatt kein blankes Chaos, die Zeilen und Wörter relativ harmonisch auf dem Blatt verteilt, keine extremen Formen.

Wie erkennst Du ob jemand „schlecht drauf“ ist?
„Schlecht drauf“ – im Sinne von antriebslos und schwach? Schau auf das Blatt und du wirst das sehen. Die Schrift wirkt lahm und keineswegs energisch!

„Schlecht drauf“ auch hier könnte der Laie angesichts solch eines Befundes richtig tippen: absackende Zeile, das Mittelband (die Höhe von z.B. m, n, u, a,…) ist merklich unregelmäßig und gegen Ende des Wortes oft klein. Aber dies kann auch ein Zeichen von Krankheit, Drogen oder Alkohol sein. Ich arbeite da gerne mit dem Konjunktiv oder einer Frage: Könnte es sein, dass der Schreiber/die Schreiberin etwas getrunken hat oder übermüdet ist?

Ich arbeite daran, sammle solche Schriften und vergleiche sie, wenn das möglich ist, mit einer Schrift auf Papier von der gleichen Person.

Reicht Dir bereits eine Unterschrift, um eine Person einzuschätzen?
Es kommt darauf an, wie aussagekräftig die Unterschrift ist. Ein Arzt, der mehr als hundert Mal am Tag unterschreiben muss, kann sich nicht viel Zeit nehmen, und fasst sich meist kurz: Ein kreativer Haken genügt, kann aber graphologisch kaum gedeutet werden. Eine Urkunde, ein politischer Vertrag, ein Testament oder ein Brief – hier sitzt man beim Unterschreiben und gibt sich Mühe. Solche Unterschriften lassen Wesenszüge des Schreibers deutlich erkennen.

Du gibst Seminare, Workshops und Kurse.
Wie lange brauche ich, um Graphologie zu lernen?
Das kommt auf Dich an und Deinen Willen das zu können. „Nebenher“ und mit Energie etwa drei Jahre, dann weißt Du schon sehr viel.
Es gibt mehrere Fernkurse, die eine Ausbildung in Deutschland, Österreich und der Schweiz anbieten.

Den Kindern wieder eine echte Handschrift beibringen, die sie gut und gerne benutzen. Immer wieder mal einen Brief schreiben.

Was müsste man tun um die Graphologie wieder „cool“ zu machen?
Mehr Artikel und Beiträge in seriösen Medien bringen. Das Interesse an Selbsterkenntnis und Psychologie ist groß!
Den Kindern wieder eine echte Handschrift beibringen, die sie gut und gerne benutzen. Immer wieder mal einen Brief schreiben; der Empfänger wird dann schon antworten. So entsteht ein Interesse an Handschrift und Graphologie.
Denn: „Wer nicht schreibt bleibt dumm“ Piper Verlag, das ist der Titel eines empfehlenswerten Buches. Und wer möchte schon dumm bleiben?